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Es stellt sich natürlich die Frage, ob es wirklich clever ist, eine größere Radtour zu be­ginnen an dem Tag, an dem die deutsche Na­tionalmannschaft das Eröffnungs­spiel der Weltmeisterschaft im eigenen Land bestreitet. Wir haben die Entscheidung aber nicht bereut. Das Spiel haben wir zusammen auf der Groß­leinwand – oder wie man heute sagt: am Public Viewing Point – ge­schaut, im Rahmen der Kampagne „Berlin steigt um“ gibt es ja die Möglichkeit, in der Nähe dieser Punkte be­wachte Fahrradparklätze kostenlos zu nutzen.

Bei der Fahrt durch den Prenzlauer Berg können wir noch einmal richtig WM-Stim­mung aufsaugen. In jeder Kneipe läuft ein Flachbildfernseher, zum Teil haben sich die Leute sogar samt Sofa und Ferseher auf den Gehsteig gesetzt, um das Fußballpiel zu genießen. Dieser Eröff­nungsabend macht Lust auf mehr WM.

Der Abend macht aber auch Lust auf mehr Rad fahren. Zwar ist der Radfernwege Berlin – Usedom innerhalb der Bundeshauptstadt noch nicht beschildert, aber die Wege sind zum großen Teil bereits recht gut ausgebaut, und mit einem guten Radtourenführer – in unserem Fall derjenige aus dem Esterbauer-Verlag – kann eigentlich nichts schief gehen.

Auf schönen Wegen durch den Schlosspark Niederschönhausen und an der Panke entlang verlässt man die Innenstadt, in den Außenbe­reichen wirkt Berlin dann eher wie eine Dörferagglomera­tion. Entlang der „Straße 49″, der „Straße 59″ und der „Straße 47″ durch­queren wir Blankenburg und Karow. Begleitet werden wir von einem wunderschönen Sonnenuntergang.

Es ist direkt schade, dass wir in Buch die abendliche Fahrradtour bereits beenden müssen. Dort werden wir im Schlafsack eine Nacht bei einem Freund verbringen.

Wobei „Nacht“ übertrieben ist, schließlich sitzen wir am nächsten Morgen um sechs be­reits wieder auf dem Sattel. Es folgt ein ge­mütliches Einrollen bis nach Bernau im Land­kreis Barnim. Dort wird der vierte Mit­reisende zu uns stoßen. Die Wartezeit verbringen wir in der Bernauer Altstadt, wo noch mehrere histo­rische Bauwerke erhalten sind, in erster Linie natürlich die zum Teil aus dem 14. Jahrhundert stammende Stadt­mauer.

Hinter Bernau erreicht der Radfernweg Ber­lin – Use­dom einen Ausbauzustand, der sich auf der gesamten restlichen Strecke nicht mehr wiederholen wird. Die Fahrradwege sind fast ausnahmslos neu gebaut, perfekt asphaltiert und ausgezeichnet beschildert. So macht Fahr­radfahren Spaß. Leider sind für Ausbau und Be­schilderung von Fernradwegen die einzel­nen Landkreise zuständig, so dass der Ausbau­zustand genau so stark schwankt wie die Qualität der Beschilderung. Den Landkreis Barnim kann man in dieser Beziehung jeden­falls nur lobend erwähnen.

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Rad­weg entlang des Werbellinsees erst 2007 gebaut wird und man bis dahin auf die Bundesstraße zurückgreifen muss. Die ist nämlich gar nicht so stark befahren wie in den Radtourenführern gewarnt wird – zumindest nicht, wenn die Autofahrer alle zu hause sitzen und Fußball schauen.

Fußball schauen kann aber nicht schöner sein als mit dem Fahrrad durch die Uckermark zu fahren. Diesem Landstrich im Nordosten Brandenburgs eilt ein Image als struk­turschwaches, dünn besiedeltes, landwirt­schaftlich geprägtes Gebiet voraus, aus dem Angela Merkel stammt. Soweit alles richtig. Diese Beschreibung der Uckermark ist aber nicht vollständig. So ganz nebenbei handelt es sich nämlich um eine wunderschöne Land­schaft, die vor etwa 10.000 Jahren von der letzten Eis­zeit geformt wurde. Von den Glet­schern abgelagerte Moränen stellen für den be­packten Radfahrer, der auf der Fahrt nach Mecklenburg-Vorpommern nicht wirklich mit großen Steigungen gerechnet hatte, durch­aus eine Herausforderung dar. Dafür bieten sich aber immer wieder tolle Ausblicke – und nach jedem erklom­menen Hügel geht es ja als Be­lohnung wieder bergab.

Kurz vor Warnitz genießen wir bei einer längeren Pause noch einmal eine schöne Aus­sicht über die seen­reiche Moränenlandschaft, der folgende Abschnitt des Radweges führt dann wieder durch einen flacheren Teil Brandenburgs. Einen Höhepunkt der Tour stellt dabei die hübsche Stadt Prenzlau dar, die man dank der Mari­enkirche schon 20 km vor­her am Horizont erahnen kann. Bei der Mari­enkirche handelt es sich um die größ­te Kirche der Uckermark und das bedeutendste Bauwerk der norddeutschen Backsteingotik. Leider handelt es sich bei der Musik, die auf dem Volksfest am Seeufer gespielt wurde, um eine Zumutung. Deshalb verlassen wir Prenzlau – nicht ohne erneut die Lebensmittelvorrä­te zu ergänzen – recht bald wieder und nehmen Kurs auf Mecklenburg-Vorpommern, das wir nach einer Fahrt über kleine Nebenstraßen durch kleine Ortschaften kurz vor Pasewalk er­reichen.

Nach Berlin und Brandenburg haben wir nun also das dritte und letzte Bundesland auf un­serer Reise erreicht. Leider lässt die Wege- und Beschilderungsqualität auf den ersten mecklenburgischen Kilometern etwas zu wün­schen übrig. Unsere schlimmen Befürchtungen für den Rest der Strecke bewahrheiten sich aber nicht. Be­reits ab Pasewalk ist der Rad­fernweg Berlin – Usedom wieder sehr gut be­schildert – erstmals sogar mit Kilometer­angaben – und über den Ausbauzustand der Radwege und Nebenstraßen können wir uns auch nicht beschweren.

Zum Glück beschwert sich die Herbergsmut­ter in Ueckermünde nicht darüber, dass wir erst so spät ge­kommen sind. Man braucht eben doch ziemlich lange, um eine Strecke von 204 Kilometern auf dem Fahrrad zurückzulegen. Wir sind recht stolz auf uns, dass wir sie über­haupt an einem Tag geschafft haben. Vor allem aber sind wir im Moment überglücklich darüber, dass es in Bellin, dem Stadtteil von Ueckermünde, in dem die Jugendherberge liegt, noch etwas warmes zu Essen gibt. Bellin. 204 Kilometer gefahren, um ein r durch ein l zu ersetzen. Ob sich das wirklich gelohnt hat? Beim Blick auf den Sonnenuntergang über dem Stettiner Haff lautet die Antwort eindeu­tig: ja!

Auf der anderen Seite des Stettiner Haffs se­hen wir schon die Insel Usedom, „die Bade­wanne der Berliner“. Um allerdings auf der anderen Seite des Haffs anzu­kommen, müssen wir am folgenden Tag noch ganze 80 Kilome­ter zurücklegen. Es gäbe zwar auch die Möglich­keit, diese Distanz durch eine Fähre abzukürzen, wir verzichten aber auf diese teu­rere Variante und bleiben dem Radfernweg Berlin – Usedom treu. Wir folgen ihm auf sei­ner großen Schleife über Anklam und sehen dabei schöne Moorgebiete, die nach einem Hochwasser vor wenigen Jahren der Natur überlassen wurden. Störche, Reiher und andere Tiere begleiten unsere Fahrt an ru­higen Kanä­len entlang. Die ländliche Idylle wird nur man­chmal unterbrochen von Weltstädten wie Mönkebu­de und „Bugewitz I“.

In Anklam, der letzten großen Stadt auf un­serer Route, passiert die einzige Panne wäh­rend der gesamten Tour. Aber eine gebrochene Speiche kann uns auf dem Weg zum Meer nicht mehr aufhalten. Der Drang zu den Sandstränden bei strahlendem Sonnenschein ist of­fensichtlich so groß, dass wir auf den folgenden Ki­lometer eine Durchschnittsge­schwindigkeit erreichen, mit der man fast an der Tour de France teilnehmen könnte. Auf diese Weise erreichen wir sehr bald die Zeche­riner Brücke, auf der wir den Peenestrom über­queren und somit auf der Insel Usedom an­kommen.

Bevor wir die Stadt Usedom erreichen, der die Insel ih­ren Namen zu verdanken hat, ma­chen wir noch einen kleinen Umweg über Kar­nin im sogenannten Usedomer Winkel. Hier stehen noch Überreste einer Eisenbahn­hubbrücke im Peenestrom, die wir am Vormittag schon einmal von der anderen Seite aus gesehen haben. Über diese Brücke führte bis 1945 die direkte Eisenbahnstre­cke von Berlin nach Swinemünde auf Usedom. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie allerdings zerstört, ein Wiederaufbau der Brücke und der anschließenden Bahnstrecke ist seit langem geplant. Solange aber die Finanzierung dieses Vorhabens nicht gesichert ist, müssen alle Bahnreisenden auf dem Weg nach Usedom den Umweg über Züssow und Wolgast nehmen. So auch wie heute Abend auf dem Rückweg.

Sowohl die Bahnstrecke als auch die Ostsee werden wir in Ahlbeck erreichen, neben Bansin und Herings­dorf eines der drei bekann­ten Kaiserbäder. Auf dem Weg dorthin merken wir, dass Usedom eine natürliche Zusammen­legung dreier Grundmoränen ist. Es geht näm­lich geradezu steil bergauf! Und natürlich an­schließend auch wieder steil bergab. Wie in einem richtigen Mittelgebirge.

Was es aber in einem echten Mittelgebirge nicht gibt, dass sind schöne Sandstrände und das Rauschen des Meeres. Zur perfekten Strandzeit – wenn alle anderen gerade in die Hotels gehen, um das Abendessen zu sich zu nehmen – kommen wir in Ahlbeck an und lassen die Tour in aller Ruhe am Strand aus­klingen. Anschließend werden wir mit der Bahn zurückfahren nach Berlin. Spätestens da beginnt dann auch für uns die WM.

Markus Belz im Jahr der WM